Warum ist der Aspekt fehlender Beziehungen, fehlender erotischer und seelischer Erfüllung wichtig? Weil fast alle diese Attentäter in ihren Selbstbezichtigungen, ihren diversen „Manifesten“, das Thema aufgreifen – nur umgemünzt in ihre pathologische Weltsicht.
Tobias R. schildert seine erotischen Probleme noch am offensten. Er gesteht, bis zum 22. Lebensjahr nicht nur keine Freundin gehabt, sondern nicht einmal den Versuch zu einer Beziehung gemacht zu haben, „da mir vom ,Äußeren‘ nur sehr wenige gefielen bzw. ich besonders hohe Ansprüche hatte“. Genauer: „Ich wollte das Beste haben oder gar nichts.“
Der Artikel „das“ statt „die“ lässt erahnen, dass R. Frauen als Instrument betrachtete statt als Mensch. Sein 2001 gewecktes Begehren gegenüber einer Mitstudentin in Bayreuth blieb seiner Schilderung zufolge platonisch – das Sommersemester 2001 ging „ohne Liebesglück zu Ende“, aber „mit der immer stärkeren Gewissheit, überwacht zu werden“.
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Gleichzeitig, so Butter, ist für Verschwörungstheoretiker typisch, dass sie ihren imaginären Gegnern zwar übernatürliche Kräfte zusprechen und sich selber bis zur letzten, unausweichlichen, erzwungenen Tat als nahezu wehrlos einschätzen – aber keine Antwort darauf haben, warum sie bis zu dieser Tat von ihren allmächtigen, allwissenden Gegnern in Ruhe gelassen werden.
Man kann hinzufügen: Die Antwort auf solche Fragen fürchten Täter genauso stark wie die Frage, warum sie keine Freundin haben, denn die Antwort rührt an ihr Innerstes, an ihr größtes, ungelöstes Problem. Die Antwort würde solche Menschen auf ihre Passivität zurückwerfen, auf ihre Unfähigkeit zu handeln. Verschwörungstheoretiker fliehen vor dieser Antwort in ein Weltbild, das manche unausweichlich zum Massenmord treibt.
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